Wohnkonzept für die dezentrale Unterbringung in Schwalmtal

Es ist lang, es ist ausführlich, es ist durchdacht – „das Wohnkonzept für dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in Schwalmtal und angemessene  Wohnfläche pro Person mit dem Ziel, Flüchtlinge in Schwalmtal zu integrieren“, erarbeitet wurde es von Achim Schwabe vom Asylkreis Schwalmtal. [Die Artikelbilder dienen nur der Illustration, sie wurden nicht in der Gemeinde Schwalmtal aufgenommen.]

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1.    Aktuelle Situation

Die Schwalmtal zugewiesenen Flüchtlinge, aktuell ca. 425, sind vornehmlich in Gemeinschaftsunterkünften von unterschiedlicher Qualität untergebracht, eine kleinere Anzahl in Wohnungen.
Aufgrund der vielen Krisenherde in der Welt ist damit zu rechnen, dass, obwohl es im Moment  kaum zu Zuweisungen kommt, sich diese wieder deutlich erhöhen, weil vor allem die Grenze auf der Balkanroute abgeschottet ist und die Zuweisung momentan vor allem in die Großstädte erfolgt, die eine zu geringe Aufnahmequote haben. Unabhängig davon, ob das auf die Dauer gelingt, die Festung Europa zu halten, suchen sich jetzt bereits Flüchtlinge Alternativrouten.

Man darf auch nicht vergessen, dass wir mit einer deutlichen Zuweisung aufgrund des Familiennachzugs rechnen müssen, denn Flüchtlinge haben das Recht, dass die Kernfamilie der Kommune zugewiesen wird, wo der betroffene Flüchtling lebt, selbst, wenn sein Asylverfahren  noch nicht abgeschlossen ist. Das betrifft vor allem Familien, die getrennt geflohen sind oder die auf der Flucht getrennt wurden.

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Alle Flüchtlinge, die in Schwalmtal als Anerkannte leben, haben das Recht ihre Familie in einem Visumsverfahren nach Deutschland zu holen. Das gilt vor allem für Flüchtlinge, die nach § 16a) Grundgesetz und nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden. Hier ist auch im Gegensatz zu Flüchtlingen, die nur in den Genuss von Abschiebehindernissen gekommen sind, keine Voraussetzung, dass ausreichender Wohnraum vorhanden ist, und dass der anerkannte Flüchtling die Familie unterhalten kann. Grundlage hierfür ist das Grundgesetz, das Ehe und Familie schützt und in Bezug auf Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge die UN-Kinderrechtskonvention bzw. das Den Haager Minderjährigenabkommen. Bis zur Rechtskraft des Asylpakets II gilt das eingeschränkt auch für Flüchtlinge mit subsidiärer Anerkennung, denn es kann auf den Nachweis auf ausreichenden Wohnraum und ausreichendes Einkommen des subsidiär Anerkannten verzichtet werden. Dass dies bisher in Deutschland und damit auch in Schwalmtal kaum spürbar ist, hängt zum einen damit zusammen, dass die Asylanträge so zögerlich bearbeitet werden – es gibt Flüchtlinge, die bereits 1 ½ Jahre warten müssen, bevor sie zum Interview eingeladen werden. Wenn sie dann anerkannt sind, gibt es außerdem das Problem, dass die deutschen Botschaften und Konsulate Wartelisten haben, die bis zu 1 ½ Jahre betragen.

Der Asylkreis hat die Verwaltung seit Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass wir aufgrund der vielen Krisenherde in der Welt mit einer deutlichen Zunahme von Flüchtlingen rechnen müssen. Der genaue Zeitpunkt entzieht sich natürlich unserer Kenntnis. Der Asylkreis hat sich aufgrund der deutlich erhöhten Zuweisung, mit der zu diesem Zeitpunkt im letzten Jahr niemand gerechnet hatte,  damit einverstanden erklärt, dass die dezentrale Unterbringung für eine gewisse Zeit nicht umgesetzt wird, um die Menschen überhaupt unterbringen zu können. Wir haben auch einer Konzentrierung von einer hohen Anzahl von Flüchtlingen an zwei Standorten im Ortsteil Waldniel zugestimmt, weil nur dort so schnell zusätzliche Unterbringungskapazitäten geschaffen werden konnten.

Parallel dazu hat die Gemeindeverwaltung den Quadratmeterbedarf auf 4- 6 qm pro Person reduziert. Bei Neuanmietung von Wohnraum werden diese Werte zugrunde gelegt. Bei dem letzten Treffen zwischen Gemeinde, Asylkreis und Kath. Kirche wurden diese Angaben relativiert, indem aufgezeigt wurde, dass in vielen älteren Unterkünften mehr als 8 qm zur Verfügung stünden. Für das Projekt am Heiligenweg und die neuen Unterkünfte an der Dülkener Straße, auf dem Röslergelände bzw. Am Zoppenberg wurden keine Zahlen vorgelegt. Es ist unbedingt erforderlich, dass wir wieder zu annehmbaren Werten,  wenn auch schrittweise, zurückkehren.

Ein weiteres Argument der Gemeindeverwaltung zu Gunsten  großer Sammelunterkünfte  war, dass für die Verwaltung Gemeinschaftsunterkünfte weniger Zeitaufwand bedeuteten als Einzelwohnungen. Eine Begründung hierfür wurde nicht unterbreitet.

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Man darf auch nicht unterschlagen, dass es in Gemeinschaftsunterkünften nachvollziehbarer Weise zu mehr Konflikten der Bewohner untereinander kommt, was zusätzliche Verwaltungskapazität fordert und was ja auch zusätzliche Kosten für den Wachdienst an den Wochenenden verursacht. Als Argument,  keinen weiteren Wohnraum anmieten zu wollen, wurde auch damit begründet, dass es zu Konflikten mit dem JobCenter geführt hätte, weil deren Klientel auch auf billigen Wohnraum angewiesen sei. Die Ursache hierfür ist jedoch vor allem, dass Vermieter ungern an Harz IV-Empfänger bzw. an Klienten des Jugendamtes – auch das Jugendamt klagt darüber- vermietet. Das hängt mit der Gefahr zusammen,  dass Mieten deshalb nicht gezahlt werden, weil entweder die Harz IV- Leistungen nicht ausreichen oder dass das Geld für andere Dinge ausgegeben wird, ganz zu schweigen davon, dass vom Mieter verursachte Beschädigungen am Mietprojekt kaum einzuklagen sind.

Der Unterzeichner hat in der Bürgerfragestunde des Rates am 25.2.2016 dem Bürgermeister die Frage gestellt, warum die Gemeindeverwaltung die Unterbringung von Flüchtlingen nur kurzfristig von Jahr zu Jahr plant, was für alle Beteiligten immer wieder zu Stress und zu unbefriedigenden Lösungen führt.  Mit Hinweis auf die Haushaltssituation führte der Bürgermeister aus, dass die Gemeinde es sich nicht leisten könnte, Unterbringungskapazitäten anzumieten, die dann in einem Leerstand endeten. Eine Diskussion über dieses Thema war an diesem Punkt nicht möglich. Deshalb wurde dieses Papier formuliert, dass dann die Grundlage für das Gespräch mit der Gemeindeverwaltung am 15. März war.

2.    Historie

Als in den 90 er Jahren die Gemeinde Schwalmtal aufgrund des Krieges auf dem Balkan fast genauso hohe Zuweisungen wie in den letzten Jahren bekam, hat der Rat mit großer Mehrheit das „Schwalmtaler Modell“ verabschiedet.   Nur die FDP-Fraktion hat damals als einzige dagegen gestimmt. Der Gemeinderat war damals  der Meinung, dass die Aufgabe der Flüchtlingsaufnahme eine gemeinsame Verantwortung der gesamten Gemeinde sei.

Vor dem Hintergrund, dass die Gemeinde zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet war, was im übrigem auch heute noch gilt, wurde folgendes beschlossen:

•    Sicherstellung der Betreuung durch Ehrenamtler unter Koordination einer Sozialarbeiterin
•    Förderung der Integration
•    Verteilung der Lasten in Bezug auf Unterbringung auf alle Bereiche der Gemeinde
•    Abweisung aller Bürgeranträge, die entweder eine Aufnahme generell ablehnen oder die die Notwendigkeit der Unterbringung zwar einsehen, aber nach dem St. Floriansprinzip die dafür vorgesehene Stelle ablehnen .

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In dem dezentralen Konzept wurden fast überall in der Gemeinde Container aufgestellt. Die Bewohner wurden durch ehrenamtliche Teams in Kooperation mit einer Sozialarbeiterin betreut. Schon damals initiierte der Asylkreis, dass Flüchtlinge vornehmlich in Wohnungen dezentral unterzubringen seien. Daraus ist dann das Mietshaus an der Heinrich-Jennissen-Straße entstanden, das noch heute bei den Flüchtlingen als Wohnung sehr beliebt ist. Dieses Modell (Gemeinde stellt das Grundstück in Erbpacht zur Verfügung, Investor baut das Haus) ist auch für die heutige Situation eine Alternative. Nach Erinnerung des Verfassers ist das wohl auch die billigste Unterbringungsform, wenn man von den mietfreien Wohnungen Am Zoppenberg absieht.

Der Rat gab das Modell auf, als die Unterkunft am Vogelsrather Weg gegen den Willen des Asylkreises errichtet wurde. Damalige Intention war es, Flüchtlinge abzuschrecken, nach Deutschland bzw. nach Schwalmtal zu kommen. Zum damaligen Zeitpunkt existierte nämlich auch ein  Vorschlag, ein Mietshaus  für die gleichen Kosten wie für das Garagendorf zu errichten.

3.    Lösungsmodell unter Berücksichtigung der finanziellen Situation der Gemeinde

Ziel ist  eine langfristig dezentrale Lösung, die nicht nur die Unterbringungsprobleme, sondern auch die Chancen der Integration einschließt. Ein weiterer Vorteil des unten aufgezeigten Modells ist es, dass dadurch gute Voraussetzungen geschaffen werden, die Konflikte zwischen Flüchtlingen und Gemeindeverwaltung, aber auch Probleme der Flüchtlinge untereinander zu minimieren. Außerdem sind wahrscheinlich keine Wachgesellschaften erforderlich.

Nicht zu verkennen ist, dass, falls die Flüchtlingszahlen zurückgehen sollten, die dezentralen Mietwohnungen auch den Bürgern in Schwalmtal, die preiswerten Raum benötigen, zur Verfügung gestellt werden könnten. Eine absolute exakte Methode, um die Anzahl der Unterbringungsmöglichkeiten  für die Zukunft zu ermitteln, gibt es weder in der augenblicklichen Konzeption der Fortschreibung von Jahr zu Jahr noch in einem dezentralen Konzept. Das dezentrale Konzept ist aber sicherlich flexibler als der augenblickliche Lösungansatz.

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Die Umsetzung eines Mietwohnungsbaues erfordert von Planung – mögliche Änderungen des Bebauungsplanes – bis Fertigstellung mindestens 2- 2 ½ Jahre. Die Gemeinschaftsunterkünfte, die in Schwalmtal existieren, sind vom Baurecht nur vorübergehend geduldet und weisen auch erhebliche bauliche Probleme auf, die bald eine erneute gründliche Sanierung erforderlich machen werden ( Vogelsrather Weg),  oder sie sind für drei Jahre angemietet., d.h. spätestens in 2 ½ Jahren wäre es möglich,  ohne Kosten für die Gemeinde  Mietverhältnisse zu beenden. Außerdem gibt es seit 2014 einen überparteilichen Konsens im Schwalmtaler Rat, dass Unterkünfte wie der Vogelsrather Weg nicht akzeptabel sind und dass mittelfristig diese Unterkunft nicht mehr belegt werden soll. Wenn also jetzt ein Mietwohnungsbau in Angriff genommen würde, wären in 2 ½  Jahren genügend Unterbringungsmöglichkeiten gegeben, so dass man auf ein oder mehrere Gemeinschaftsunterkünfte verzichten könnte. Wenn jedoch die Flüchtlingszahlen nicht zurückgehen sollten, könnten auch die Sammelunterkünfte weiter angemietet bleiben. Dieses Modell hat den Vorteil, dass je nach Entwicklung nachgesteuert werden kann. Es ist ja auch durchaus denkbar, dass ein  Teil der Mietwohnungen  dann deutschen Mietern, die auf billigen Wohnraum angewiesen sind, zur Verfügung gestellt werden kann. Das Zusammenleben von Flüchtlingsfamilien und Deutschen verstärkt und beschleunigt die Integration.

Aber auch hier wäre es im Rahmen einer dezentralen Lösung wünschenswert, solche neuen Mietobjekte in der Gemeinde zu verteilen und nicht an einem Ort zu konzentrieren. Dabei müsste jedoch darauf geachtet werden, dass die Standorte gut durch den ÖPNV erreichbar sind, weil diese Klientel in der Regel nicht über das Geld verfügt, sich einen PKW anzuschaffen.

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Finanziert werden kann  dieser Mietwohnungsbau durch unterschiedliche Finanzierungsbeispiele:

  • Gemeindeeigene Mietwohnungen
  • Gemischt finanzierte Mietwohnungen (Grundstück : Gemeinde auf Erbpacht; Gebäude: Investor
  • Mietwohnung durch Investor finanziert

Im Rahmen einer Veranstaltung der Kolpingfamilie in Willich, an der der Verfasser als Podiumsteilnehmer teilgenommen hat, hat die Beigeordnete der Stadt Willich das Unterbringungskonzept der Stadt Willich vorgestellt.  Neben der Erstunterbringungseinrichtung des Landes mit 450 Plätzen leben in der Stadt  zur Zeit 514 Flüchtlinge, 363 in Sammelunterkünften, 151 in Wohnungen.
Die Stadt verfolge ein dezentrales Unterbringungskonzept, erklärte die Beigeordnete, weil nur so  eine Integration möglich sei. Angesichts der Zuweisungen vor allem im letzten Jahr hat man dies aussetzen müssen. Für 300 Flüchtlinge sind Mietwohnungen geplant, bzw. im Bau. Außerdem will die Stadt sich auch für eine Verstärkung des Sozialwohnungsbaus einsetzen.

4.    Fazit

Es kann als sicher angenommen werden, dass weit mehr Flüchtlinge in Deutschland, aber auch mehr Flüchtlinge in Schwalmtal bleiben werden als in der Vergangenheit. Bis jetzt hat es die Flüchtlinge nach Anerkennung in die größeren Städte gezogen (Kontakt zur eigenen Community, mehr Chancen auf Arbeitsmöglichkeiten). Das wird sich deutlich verändern.

Zum einen gibt es in den Großstädten immer weniger bezahlbare Mietwohnungen (Grundstückspreise) und der Ausweis von Bauland scheitert oft daran, dass keine Flächen zur Verfügung gestellt werden können. Bei der zukünftigen Planung, wie oben bereits erwähnt, sind nicht nur die anerkannten Flüchtlinge zu berücksichtigen, sondern auch die Familien, die nachziehen.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass aufgrund der in diesem Absatz geschilderten Probleme der Großstädte die Bundesregierung beabsichtigt, im Rahmen des Asylpakets III für eine gewisse Zeit eine Residenzpflicht für die anerkannten Flüchtlinge einzuführen, was zusätzliche Kapazitäten im Mietwohnungsbau erfordert.
Die Unterbringung so vieler Flüchtlinge in so kurzer Zeit war bereits eine Herausforderung für Politik, Verwaltung und Asylkreis. Die Herausforderung der Integration ist jedoch um vieles höher und langfristiger angelegt. Je nachdem, wie engagiert und geplant wir sie auch in Schwalmtal in Angriff nehmen und bewältigen, kann das eine enorme Bereicherung für unsere Kommune werden, auch angesichts der demographischen Entwicklung, die sich auch in Schwalmtal zeigt.

Wenn wir die Probleme nicht zeitnah angehen, schaffen wir uns voraussehbare  Langfristprobleme, die in unserer Kommune zu immer mehr Spannungen führen werden.

Hans-Joachim Schwabe